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pfalz-magazin Winter 21-22

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Essay Rückblick Haben

Essay Rückblick Haben wir nicht gerade noch im Meer gebadet, Pfirsiche gegessen, am Eis geleckt? Ist jetzt tatsächlich schon wieder Silvester? Wo ist all die Zeit hin, und vor allem: was haben wir mit ihr gemacht? Silvester ist ein ganz besonderes Fest: An keinem anderen Jahrestag folgt auf eine Beerdigung prompt eine Geburt. Wir feiern, dass das alte Jahr zu Ende geht und empfangen das Neue mit viel Geknalle und Getöse. Inmitten des Rummels nehmen einige das Jahresende zum Anlass, zurück zu schauen und über das gerade vergehende Jahr nachzudenken: Tagebücher werden durchgeblättert, Fotoalben oder Digitalbilder angeschaut und der Eine oder Andere verfasst sogar einen Jahresrückblick – „Das war das Jahr“, heißt es ja auch in den Medien. Sich noch einmal zu erinnern und das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen – Jahresbilanz zu ziehen, ist vielen Menschen wichtig. Allerdings kann die Art und Weise sehr unterschiedlich sein. Da gibt es diejenigen, die für sich ganz persönlich Rückblick halten, die allein mit sich und ihren Gedanken bleiben wollen. Sie ziehen unter Ausschluss der Öffentlichkeit Bilanz, wägen ab, ob es ein gutes, ein nur befriedigendes oder gar ein enttäuschendes Jahr war, ob sich die guten Vorsätze und Erwartungen, die man letztes Silvester gefasst hat, erfüllt haben. Bei einigen werden die alten Vorsätze vermutlich die neuen sein, weil sie es mal wieder nicht geschafft haben, mit dem Rauchen aufzuhören, öfter aufzuräumen oder mehr Kontakt zu Freunden zu halten. Und der Blick in den Spiegel, beziehungsweise auf die Waage verrät, dass schon wieder nur der Kalender dünner geworden ist… Und in alter Stille zieht man den Schlussstrich unter das vergangene Jahr. Aber da gibt es auch jene, die zum Jahresende das Bedürfnis haben, Dinge zu bereinigen, die sie sich das ganze Jahr vorgenommen haben, aber nie dazu gekommen sind, weil ja der Tag viel zu schnell an einem vorüberzieht, und wie oft sagt man sich: „Was man heut nicht kann besorgen, das verschieb’ ich doch auf morgen?“ Die gute Freundin anrufen, sich einfach fünf Minuten Zeit nehmen, um sich mit dem netten Nachbarn zu unterhalten, die Entschuldigung bei einem Verwandten, die schon lange überfällig ist? Kleinigkeiten, die höchstens ein paar Minuten unserer „Ach so wertvollen Zeit“ in Anspruch nehmen, aber das Potential für eine große Wirkung auf den Rest unseres Lebens haben. Wie wir das neue Jahr also beginnen und mit dem alten, hoffentlich im Guten, abschließen, bleibt also jedem selbst überlassen. Es gibt auch jene, die zum Jahresende das Bedürfnis haben, Freunde, Bekannte oder gar die Öffentlichkeit an ihrer jüngeren Vergangenheit teilhaben zu lassen. Da werden gar Jahresrückblicke als Multimediashow auf DVD verschickt, selbstverständlich randvoll mit Bildern und Geschichten, mit Audio-Clips und Soundeffekten. Fotos: Pixabay, oben: Aleksandr Ivanov; rechte Seite: Tom Hill 70

So erfahren wir, ob wir es wollen oder nicht, viel über das alltägliche Treiben uns mehr oder weniger lieben Menschen. Wer im Internet den Suchbegriff „Jahresrückblick“ eingibt, wird fast erschlagen von der Fülle an Links. Da räsonieren Politiker, Geistliche, Firmenvorstände und Vereinspräsidenten über die gesteckten Ziele; sie beurteilen, was gelungen und was weniger gelungen ist, was man im kommenden Jahr besser, auf jeden Fall aber anders machen möchte. Auch im Fernsehen wird man von einer Informationsflut zum Jahresende überwältigt. Es wird spekuliert über gute und weniger gute Ereignisse, über Skandale und Prominente, über Katastrophen und das, was in Vergessenheit geraten ist. Doch was davon ist wirklich von Bedeutung? Es ist doch ausschließlich wichtig, wie man seinen eigenen Jahresrückblick beurteilt und welche positiven Erfahrungen man mit in das neue Jahr und welche negativen Dinge man doch lieber in das „alte“ zurücklässt. Natürlich mag es auch jedem selbst überlassen sein, ob er seine Rückschau zurückgezogen und allein hält oder sie der breiten Masse, etwa in Facebook, preisgeben möchte. Aber eines steht für alle fest, wie auch immer die Bilanz ausfallen mag: An Silvester liegen 365 Tage hinter uns und die nächsten 365 Tage vor uns. Und wie wir es auch wenden und drehen: Nichts bleibt, wie es ist, und erst recht nichts, wie es war. „Nichts ist so beständig wie die Veränderung“ sagt ein Sprichwort. Mir gefällt auch ein Spruch, der zum Nachdenken anregt: „Alles bleibt besser!“ – eine gekonnte Verbindung von traditionellem und Offenheit für Neues. Schließen wir also das alte Jahr doch einfach in Frieden ab – und beginnen wir das Neue in der Hoffnung, dass sich unsere Wünsche und Vorsätze dieses Mal ganz bestimmt erfüllen werden. TS „Alles bleibt besser!“ 71